Der auf der westlichen Seite der Landspitze gelegene Hafen von Punta del Este war klein und bot nur wenigen Booten von Privatleuten und Freizeitanglern Platz, die an jenem Tag sanft an ihren Liegeplätzen schaukelten, genau wie die schwimmenden Pontons, über die die Bootsbesitzer ihre Dingis erreichen konnten. Zwar war der Hafen im Osten gut gegen den Atlantik abgeschirmt, doch vor dem Westwind, der an diesem Tag wehte, bot er kaum Schutz.
     Die Luft war erfüllt vom Geschrei der Möwen, dem Knallen der Segelleinen und dem Geruch nach Fisch, und dieser kleine sichere Hafen wärmte sich ruhig in der strahlenden Wintersonne. Die leuchtenden Farben der Möwen, Boote und Häuser kamen vor dem saphirenen Ozean und dem azurblauen Himmel wunderbar zur Geltung. Doch meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die unzähligen Fische im kalten, kristallklaren Wasser. Schwärme von Sprotten schossen synchron durch den Hafen und versuchten, ihren Verfolgern durch Zickzackkurs, oder indem sie sich alle paar Sekunden aufteilten und wieder vereinten, zu entkommen. Ich war wie gebannt von den La-Ola-Wellen des Lichts, die im Wasser pulsierten wie Polarlichter, wenn die Sonne von den schillernden Fischen reflektiert wurde.
     Neben den rostigen, antiquierten Zapfsäulen, auf denen der Kraftstoff in Gallonen ausgewiesen wurde, unter einem gewellten Eisendach, zog eine muskulöse Fischerin mit einem großen grünen Netz, das sicher an einer dicken Bambusstange vertäut war, ihren Lebensunterhalt aus dem Hafenbecken. Sie trug eine Lederschürze und Gummistiefel und hatte einen zufriedenen Gesichtsausdruck. Mir fiel auf, dass sie mit bloßen Händen arbeitete. Ihr Haar war mit einem braunen Tuch bedeckt und ihr wettergegerbtes Gesicht von tiefen Falten durchzogen. Neben ihr standen drei Holzfässer, die nahezu bis zum Rand mit Sprotten gefüllt waren, was vermutlich der Grund für ihre Zufriedenheit war. Knöcheltief in zappelnden silbernen Fischen stehend, warf sie ihr Netz ins Wasser und holte beinahe minütlich einen neuen Fang ein, sehr zum Missfallen der Möwen, die sie lautstark beschimpften. Mit zahnlosem Grinsen schüttelte sie jeden neuen Fang in die Fässer und befreite die wenigen Fische, die nicht von selbst aus dem Netz gefallen waren – etwas, stellte ich fest, was ihr nicht gelungen wäre, hätte sie Handschuhe getragen. Die kleinen schwarzrückigen, schwalbenschwänzigen Möwen schwebten einen Augenblick lang etwa drei Meter über dem Meer, tauchten dann ab und kamen sofort wieder an die Oberfläche, schwimmend, mit Sprotten im Schnabel, die wie zähes Quecksilber glänzten. Dann wurde die Beute blitzschnell verschlungen.
     Auch einige Pinguine hatten sich im Hafen eingefunden, um sich ihren Anteil zu holen. Es war ein faszinierender Anblick, sie auf der Jagd nach den Fischen pfeilschnell durchs Wasser schießen zu sehen. Sie wirkten wesentlich geschickter als die Möwen in der Luft. Schlängelnd preschten sie mit atemberaubender Geschwindigkeit und Wendigkeit durch die Schwärme und schnappten nach den Fischen, die vor ihnen auseinanderstoben. Gegen solch einen kunstfertigen Gegner erschienen die Sprotten nahezu wehrlos, trotz ihrer scheinbar grenzenlosen Anzahl. Ich wunderte mich nur, dass nicht mehr Pinguine da waren, um sich an einer derart reichen und leichten Beute gütlich zu tun.
     Ich hätte noch viel länger zuschauen können, doch als die Pinguine außer Sichtweite schwammen, kehrte ich um und ging in östlicher Richtung um die Landspitze herum bis zum nächsten Wellenbrecher. Kleine, weißgefleckte Wellen rollten vom Ozean heran und brachen sich am Strand. Ich war an jenem schönen Nachmittag erst zehn, höchstens fünfzehn Minuten an der Küste entlangspaziert und hatte über all die großartigen und beeindruckenden Dinge nachgedacht, die ich während meines Urlaubs erlebt und gesehen hatte, als ich die ersten schwarzen, reglosen Gestalten erblickte.

 
Tom Michell. DER PINGUIN MEINES LEBENS - Die wahre Geschichte einer unwahrscheinlichen Freundschaft. Frankfurt: Fischer Taschenbuch 2016. Aus dem Englischen von Lisa Kögeböhn. Leseprobe.